Verfasser: Dr. Herbert Höck
Das Dilemma mit der Transparenz und Partizipation im Strategie-Prozess
Im ersten Teil meiner dreiteiligen Beitragsserie über den Strategieansatz für die VUCA-Welt habe ich damit geschlossen, dass bei Open Strategy aus Opazität Transparenz wird und dass dies eine gewisse Brisanz beinhalten kann. Beleuchten wir nun diesen Sachverhalt etwas genauer. Was gibt es für Vorteile, wo liegen die Nachteile oder gar Gefahren von Transparenz und Partizipation im Strategieprozess?
Formen von Transparenz und Offenheit im Strategieprozess
Epe (2020, S. 1-2) sieht die Vorteile dieser Öffnung darin, dass im Sinne der Partizipation alle internen und externen Stakeholder bei der Strategieentwicklung miteinbezogen werden. Dies führt dazu, dass das kreative Potenzial aller Stakeholder einer Organisation ausgeschöpft werden kann. Zudem führt die Partizipation dazu, dass strategische Entscheidungen, welche auf diesem Weg gefällt werden, mehr Rückhalt und Akzeptanz bei der Implementierung haben. Die Dimension Transparenz führt dazu, dass die Strategie transparent nach aussen getragen wird, was wiederum ein Feedback der Umwelt ermöglicht und somit Entwicklungspotenziale erkannt werden können. Doch wollen wir überhaupt derart offen sein?
Splitter und Seidl (2018, S. 61) weisen darauf hin, dass es verschiedene Formen und Abstufungen der Offenheit gibt. Diese verlaufen entlang den beiden Dimensionen Transparenz und Partizipation, resp. der jeweiligen Ausprägungsart und Ausprägungsintensität. So kann eine Entität beispielsweise transparenter gegenüber den internen und externen Stakeholdern werden, ohne gleichzeitig den Grad der Partizipation zu erhöhen. Oder natürlich umgekehrt: hohe Partizipation mit weniger Transparenz.
Grafisch darstellen lässt sich dies wie folgt:
Während im unteren linken Quadranten der Abbildung der klassische Strategieprozess mit wenig Offenheit abgebildet ist, zeigen die drei anderen Quadranten mögliche Formen von Open Strategy auf. Splitter und Seidl (2018, S. 63) weisen darauf hin, dass sich Grad und Form der Offenheit im Zeitverlauf verändern können. Die Autoren verweisen auf das Beispiel von Start-up-Unternehmen, welche während der Gründungsphase häufig eine sehr hohe Offenheit an den Tag legen, um sie dann jedoch während der Wachstumsphase zu reduzieren. Dies gründet primär in den Risiken, welche mit der Öffnung des Strategieprozesses einhergehen.
Warum sollen Unternehmen ihre Strategie öffnen?
Aber weswegen öffnen Unternehmen ihre Strategie überhaupt? Hier geht es um das Erreichen verschiedener Ziele. Recherchen von Stadler et al. (2020) ergaben, dass häufig das Ziel darin besteht, auf dem Wege der Offenheit neuartige und unkonventionelle Ideen für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens zu generieren. Dabei steht die Überlegung im Vordergrund, dass mit Menschen, welche nicht direkt mit der Unternehmung verbunden sind und deren Denkweise frei von einer vorherrschenden Unternehmenskultur ist, die Wahrscheinlichkeit erhöht werden kann, bahnbrechende strategische Lösungen zu finden. Andere Unternehmen möchten auf dem Weg der Open Strategy vor allem Wissen bündeln und somit die kollektive Intelligenz nutzen. Diese Vorgehensweise basiert auf der Annahme, dass grössere Gruppen unter bestimmten Bedingungen Probleme effektiver lösen können als einzelne Expertinnen oder Experten. Ein weiterer Ansatz ist die betriebsinterne Beteiligung an der Strategieplanung zu erhöhen. Diese Vorgehensweise nutzt die Vorstellung, dass wenn ein breites Spektrum von internen Beteiligten in den Strategiebildungsprozess involviert wird, später eine bessere Strategieumsetzung erreicht werden kann. Bekannterweise scheitern viele strategische Initiativen deswegen, weil die Implementierer der Strategie diese nicht selbst erarbeitet haben und somit nicht "besitzen". Ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf die strategische Ausrichtung, stärkeres Engagement durch Partizipation am Prozess sowie eine verbesserte Zustimmung zu den Entscheidungen können dazu beitragen, dass eine effektivere Umsetzung erfolgt – weil eben die Umsetzer bereits in den Strategiebildungsprozess eingebunden worden sind.
Formen von Partizipation im Strategieprozess
Dabei ist zu beachten, dass es verschiedene Formen der Partizipation/Inklusion gibt. Die Wahl, welche Praktiken der Inklusion angewendet werden, ist individuell und hängt einerseits von den zu erreichenden Zielen ab, andererseits – wie oben bereits kurz angetönt – von der jeweiligen Phase des Strategieprozesses und nicht zuletzt auch davon, wer beteiligt sein soll. Stadler et al. zeigen in einem übersichtlich gestalteten Schaubild auf, wie die verschiedenartigen Formen von Partizipation in den unterschiedlichen Phasen des Strategieprozesses aussehen könnten:
Die Gefahren von Open Strategy
Partizipation und Transparenz haben viele Vorteile. Aber auch Nachteile, welche unbedingt beachtet werden müssen. Splitter und Seidl (2018) weisen explizit darauf hin, dass Öffnung im Strategieprozess auch riskant sein kann und heben drei Dilemmata von Open Strategy hervor.
So beschriebt das erste Prozessdilemma, dass Unternehmen einerseits durch die Partizipation auf vielseitiges Wissen der involvierten Teilnehmenden zugreifen und neue Ideen generieren können. Anderseits geht Partizipation häufig auch mit Verlust der Flexibilität und der Kontrolle über den strategischen Entscheidungsprozess einher. So können beispielsweise innerhalb der Gruppen langwierige Grundsatzdiskussionen entstehen, welche aus strategischer Sicht irrelevant sind. Dieses Risiko kann durch die gezielte und qualifizierte Steuerung des Strategiebildungsprozesses minimiert werden.
Offenheit im Strategiebildungsprozess kann auch zu einem Offenlegungsdilemma führen. Damit sind wir beim zweiten Dilemma angelangt. Dieses offenbart sich dann, wenn die gewichtigen Vorteile der Offenheit (Kollaborationsförderung und Legitimierung) von den Nachteilen der Offenheit eingeholt werden: Offenheit und Transparenz können Wettbewerbsvorteile gefährden. Insbesondere dann, wenn die Konkurrenz beispielsweise Zugriff auf strategisch sensible Daten hat. Hier sind also klare und verbindliche Spielregeln im Zusammenhang mit der Vertraulichkeit notwendig.
Das dritte Dilemma betrifft die Eskalation. Wenn der Grad an Partizipation erhöht wird, können viele Vorteile erzielt werden. Davon haben wir bereits gelesen. Es besteht jedoch in diesem Zusammenhang die Gefahr, dass bei den am Strategieprozess beteiligten Personen übermässige Erwartungen geschürt werden. Es können Forderungen nach noch mehr Offenheit entstehen. Werden dann diese Forderungen nicht erfüllt, so kann bei den Teilnehmenden Frustration entstehen oder die Involvierten sehen Open Strategy als reine Imagekampagne des Unternehmens an. Auch hier ist eine qualifizierte Steuerung des Strategiebildungsprozesses durch dazu fähige Führungspersönlichkeiten gefordert.
Welches ist nun die "richtige" Lösung? Ich persönlich bin dezidiert der Meinung, dass Transparenz und Partizipation innerhalb der Strategieentwicklung notwendig sind. Über den Grad der beiden Dimensionen kann diskutiert werden, resp. es müssen die individuellen Bedürfnisse der strategieentwickelnden Entität berücksichtigt werden.
Damit beende ich den zweiten Teil meines dreiteiligen Blogbeitrags. In Teil 3 präsentiere ich Ihnen dann eine neue, eigenentwickelte Methode, um Open Strategy umzusetzen. Ich freue mich, wenn Sie dann auch wieder dabei sind.
Quellen und weiterführende Informationen
Epe, H. (2020). Open Strategy – Alle müssen beteiligt werden. Sozialwirtschaft aktuell (SWa), 30 (22), 1–3. DOI: 10.5771/1619-2427-2020-22-1-1.
Splitter, V. & Seidl, D. (2018). Open Strategy – die neue Offenheit. Die Volkswirtschaft, 7, 61–63.
Stadler, C., Hautz, J. & den Eichen, S. F. (2020). Open Strategy: The Inclusion of Crowds in Making Strategies. NIM Marketing Intelligence Review, 12 (1), 36–41.
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